Histamin im Wein – ein Krankmacher?
Bedeutung, Vorkommen und mögliche Kennzeichnungspflicht:
Autor
Dr. Klaus Bobak, pensionierter Mediziner und Weinakademiker
Das zunehmende Gesundheits- und Ernährungsbewusstsein hat zur Folge, dass den ernährungsbedingten Krankheiten wie Nahrungsmittelallergien und –Intoleranzen immer mehrBeachtung geschenkt wird. Inhalt und Herkunft der Nahrungsmittel werden häufiger hinterfragt als noch vor 10oder 20 Jahren. Lebensmittelsicherheit ist heutzutage ein öffentliches Anliegen.
Man trifft immer öfter Personen, die nach Weingenuss Beschwerden bekommen, welche sich mit der Alkoholwirkung allein nicht erklären lassen. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um eine Unverträglichkeit von Histamin. Das ergibt einen guten Grund, sich mit dem Thema Histamin im Wein auseinander zu setzen.
Histamin alltäglich
Histamin entsteht aus dem Abbau der Aminosäure Histidin, die als Eiweißbestandteil in fast allen pflanzlichen, tierischen und menschlichen Zellen vorkommt. Diese Umwandlung des Histidins zu Histamin erfolgt durch das Enzym Histidindecarboxylase, welche durch Mikroorganismen (Bakterien, Hefen) zu dieser Tätigkeit angeregt wird. Daher spielen Mikroorganismen bei der Entstehung von Histamin eine große Rolle.
Histamin gehört zur Gruppe der biogenen Amine. Es wird im menschlichen Körper selbst produziert oder mit der Nahrung aufgenommen und in Speicherzellen gelagert. Dort ist es sozusagen auf Abruf bereit, um nach Freisetzung seine physiologischen Wirkungen zu entfalten. Aus den Speicherzellen freigesetztes oder mit der Nahrung aufgenommenes Histamin ist zum Beispiel verantwortlich für die Magensaftsekretion, die Kontraktion der glatten Muskulatur des Magen-Darm-Traktes, der Bronchien und Gefäße sowie der Gebärmutter. Es ist auch ein wichtiger Entzündungsstoff und Mediator bei allergischen Erkrankungen und spielt im Zentralnervensystem als Neurotransmitter eine große Rolle.
Die Intensität dieser physiologischen Wirkungen ist abhängig von der Menge des freigesetzten oder mit der Nahrung aufgenommenen Histamins und der Vehemenz der Ausschüttung. Übersteigt die Menge des freien Histamins eine bestimmte Grenze, kommt es zu überschießenden, unerwünschten Wirkungen, entsprechend den physiologischen Wirkungen, also zu vermehrter Magensaftproduktion (Sodbrennen), vermehrter Darmperistaltik (Blähungen, Durchfall), Kopfschmerzen, Hautrötungen, Asthma, Kreislaufproblemen. Man erkennt daraus, dass Histamin eine hochpotente Substanz ist, vor deren Überhandnehmen sich der Körper wirksam schützen muss. Deshalb ist er in der Lage, das überschüssige Histamin mittels zweier Enzyme abzubauen. Es sind dies die Diaminoxidase (DAO) und die N-Methyltransferase (NMTF). Für unser Thema von größerer Bedeutung ist dabei die DAO. Denn diese ist in der Lage, das mit der Nahrung aufgenommene Histamin bereits im Dünndarm unschädlich zu machen.
Bei gesunden Personen wird nämlich die DAO in den Zellen der Darmwand produziert und kontinuierlich in das Darmlumen abgegeben. Sie ist aber auch in der Leber, der Niere, im Blut und im besonderen Maße in der Plazenta von Schwangeren vorhanden.
Bei Personen, die an Histaminintoleranz leiden (es sind dies 1 – 3 % der Gesamtbevölkerung), ist dieser Abbaumechanismus gestört: es besteht entweder ein Mangel an DAO oder die DAO ist zwar vorhanden, aber durch z.B. Medikamente aber auch andere biogene Amine oder durch Alkohol inaktiviert. Oder es besteht ein Missverhältnis zwischen dem freien überschüssigen Histamin und der DAO, das heißt, es ist soviel Histamin vorhanden, dass es die DAO nicht mehr abbauen kann.
Dieses Missverhältnis kann durch eine zu histaminreiche Ernährung hervorgerufen werden oder durch die Aufnahme von Histaminliberatoren (Substanzen, welche gespeichertes Histamin freisetzen können) oder DAO-Hemmern (Substanzen, welche die Aktivität der DAO herabsetzen). Daher ist es für den Menschen mit HIT wichtig, über histaminreiche und histaminarme Lebensmittel Bescheid zu wissen.
Nahrungsmittel, welche eine längere Reifung durchmachen (Käse) oder durch Salzen, Räuchern, Trocknen haltbar gemacht (Fleisch, Fisch) oder durch Gärung gewonnen werden (Sauerkraut), weisen höhere Histamingehalte auf als frische oder frisch tiefgekühlte Produkte.
Vorkommen in der Natur
Fangfrischer Fisch enthält praktisch kein Histamin. Längere Zeit schlecht gelagerter Fisch kann bis 13.000 mg/kg enthalten, gilt als verdorben und kann Vergiftungserscheinungen hervorrufen. Im Handel befindliche Fischprodukte zeigen Histaminwerte bis zu 1.000 mg/kg.
In den USA gibt es einen Grenzwert für Thunfisch mit 200 mg/kg. Der Histamingehalt beträgt bei geräucherten oder gepökelten Produkten (Makrelen, Heringe) bis zu 500 mg/kg, Vollkonserven (Sardinen, Sardellen, Thunfisch) liegen bei 0 – 35 mg/kg, es wurden aber auch schon Werte von mehr als 1.500 mg/kg gefunden.
Frische Fleischprodukte enthalten ebenfalls kaum Histamin. Histaminmengen bis zu 300 – 600 mg/kg finden sich aber in Hartwürsten wie Salami oder in Schinken.
Bei Käse finden sich die höchsten Histaminwerte im Bergkäse, Emmentaler und Roquefort (je nach Reifedauer bis zu 1.200 – 2.500 mg/kg), aber auch Parmesan, Edamer, Gouda, Brie und Camembert können Histamingehalte bis 900 mg/kg aufweisen.
Bei Sauerkraut schwanken die Histaminwerte von 10 bis 200 mg/kg.
Histaminmengen bis zu 60 mg/kg finden sich auch in Gemüse und Obst (Tomaten, Spinat, Avocado, Erdbeeren, Himbeeren), wobei nicht so sehr der Histamingehalt zu beachten ist, sondern deren Wirkung als Histaminliberatoren.
Histamin im Wein
Im Vergleich zu den genannten Nahrungsmitteln ist der Histamingehalt im Wein um ein Vielfaches kleiner. Allgemein weisen Rotweine auf Grund ihrer Produktionsmethode höhere Histamingehalte auf als Schaumweine oder Süßweine. Noch geringere Histaminmengen finden sich bei Rosé- und Weißweinen.
In österreichischen Weißweinen liegt der Histamingehalt zwischen 0,16 und 4,22 mg/l, in Rotweinen zwischen 0,21 und 6,33 mg/l, in Schaumweinen zwischen 0,16 und 5,9 mg/l. Eine relativ geringe Histaminmenge in Prädikatsweinen (0,16 – 0,83 mg/l) ergibt sich daraus, dass mit steigender Mostgradadtion bzw. zunehmender Botrytisbildung der Histamingehalt nicht in dem Ausmaß steigt wie der Gehalt an anderen biogenen Aminen wie Phenylethylamin oder Isopentylamin. „Ausreißer“ nach oben kommen sowohl bei Nahrungsmitteln wie auch beim Wein vor, Histaminwerte über 20 mg/l sind bei Weinen aber eher selten.
Trotz der vergleichsweise geringen Histaminmengen im Wein klagen mehr Menschen über Beschwerden nach Weingenuss als nach dem Verzehr von histaminreichen, festen Nahrungsmitteln. Das rührt daher, dass Histamin aus flüssiger Nahrung rascher und effizienter im Körper aufgenommen wird als aus fester Nahrung. Eine weitere, aber äußerst wichtige Rolle spielt der Alkohol im Wein: er verursacht eine raschere Resorption durch eine verstärkte Durchblutung der Darmschleimhaut. Alkohol gehört aber auch zu den DAO-Hemmern und Histaminliberatoren.
Die Histaminintoleranz ist gut diagnostizierbar, denn es ist heutzutage möglich, den Histaminspiegel im Blut und auch die Aktivität der Diaminoxidase zu messen.
Die Behandlung stützt sich allerdings hauptsächlich auf das Meiden von histaminreichen Nahrungsmitteln. Das bedeutet für den an HIT leidenden Weingenießer, dass es für ihn von Vorteil ist, über den Histamingehalt des zum Genuss vorgesehenen Weines Bescheid zu wissen, damit der Weingenuss nicht zum Weinverdruss wird.
Ist Histamin im Wein ein Krankmacher?
Diese Frage kann mit einem Nein beantwortet werden, denn der gesunde Mensch kann die im Wein enthaltene Histaminmenge ohne Probleme abbauen.
Anders verhält es sich bei Personen mit HIT. Bei diesen treten Beschwerden (Symptome) durch das Histamin im Wein deshalb auf, weil bei ihnen bereits eine Gesundheitsstörung (die HIT) vorliegt.
Allerdings sind Histamin-induzierte Beschwerden nach Weingenuss meist nicht direkt auf das Histamin im Wein zurückzuführen, sondern in hohem Maß auf den Alkohol im Wein als DAO-Hemmer und Histaminliberator. Auch andere, weniger bekannte biogene Amine können als Auslöser von Beschwerden eine Rolle spielen.
Was würde eine Kennzeichnungspflicht für Histamin im Wein bringen?
Um das Einhalten einer Pflicht zu überwachen, bedarf es auch gesetzlicher Grundlagen. In Österreich gibt es die allgemein gehaltene Lebensmittelkennzeichnungsverordnung.
Speziell auf Allergien und Unverträglichkeiten bezogen ist die EU-Richtlinie 2003/89EG vom November 2003, die eine Kennzeichnungspflicht für Zusatzstoffe mit allergenem Potential vorsieht. Zweck dieser Richtlinie ist 1. das Erreichen eines möglichst hohen Niveaus auf dem Gebiet des Gesundheitsschutzes, 2. eine Information der Konsumenten über Inhalts- und Zusatzstoffe und 3. eine Hilfestellung für Konsumenten, die an Allergien oder Unverträglichkeiten leiden.
Es sind davon 12 Substanzgruppen betroffen, unter diesen auch das bei der Weinbereitung verwendete Sulfit bzw. SO2.
Man sucht aber in dieser Aufstellung vergeblich das Histamin, besonders deshalb, weil die HIT mit einer Inzidenz von 1 – 3 % der Gesamtbevölkerung häufiger vorkommt als ein Sulfit-Asthma. Das Fehlen des Histamins in der Auflistung mag mehrere Gründe haben. Das wichtigste Argument aber besteht darin, dass Histamin im Wein weder eine Allergen noch ein Zusatzstoff ist, sondern durch natürliche Vorgänge im Wein entstanden ist.
Für die an HIT leidenden Personen ist es allerdings unerheblich, auf welche Weise das Histamin in den Wein gekommen ist. Und einer der Beweggründe für die Erlassung der EU-Richtlinie ist ja der Schutz von Personen, die an Nahrungsmittel-Allergien und/oder -Intoleranzen leiden.
Für den gesunden Weinkonsumenten ist der Histamingehalt im Wein nicht von Bedeutung, da er die im Wein vorkommende Menge ohne Probleme abbauen kann. Daher bringt eine Kennzeichnungspflicht für ihn keine Vorteile. Sie könnte unter Umständen aber zu einer Verunsicherung führen, indem auf eine möglicherweise gesundheitsgefährdende Substanz hingewiesen wird. Allerdings ist durch die Kennzeichnung von Sulfit der Weinkonsum auch nicht zurückgegangen.
Für den kleinen, an HIT leidenden Personenkreis wäre eine Kennzeichnungspflicht für Histamin im Wein dann von Vorteil, wenn der Histamingehalt mengenmäßig angegeben wird. Denn dadurch könnten diese Personen aus dem Angebot von Weinen denjenigen mit dem geringsten Histamingehalt auswählen, um nicht gänzlich auf den Weingenuss verzichten zu müssen.
In Zukunft
Sollte die EU-Richtlinie 2003/89 EG in Zukunft auch die Kennzeichnung von Histamin einschließen, könnte Qualitätswein eine Vorreiterrolle einnehmen, denn im Rahmen der Prüfnummernvergabe würde eine Angabe des Histamingehalts keine nennenswerten Kosten verursachen. Weine, die keine Prüfnummer benötigen, müssten dann allerdings mit dem Vermerk „Enthält Histamin“ gekennzeichnet sein.
Man könnte mit der Angabe des Histamingehalts im Qualitätswein zum Ausdruck bringen, dass man im Zusammenhang mit Weingenuss auf das Wohl aller Konsumenten bedacht ist.
Diese Arbeit wurde im Rahmen einer Diplomarbeit an der Weinakademie Österreich erstellt.
Eine kurze Berichtigung:
dies ist auch noch nicht zu allen Ärzten vorgedrungen, aber mittlerweile werden zwei Formen von Histaminunverträglichkeit unterschieden, einerseits die erwähnte Form mit einem Mangel am Enzym DAO sowie die andere Ausprägung, wo ein Mangel am Enzym HNMT (hier als NMTF) bezeichnet herrscht. Bei letzterer steigt der Histaminspiegel weniger rapide an, bleibt aber auch länger hoch. (Ich selbst leide an dieser Art, bei mir treten die Symptome am nächsten Tag auf und dauern dann aber auch wirklich mindestens den ganzen tag an). Auch die Symptome sind tendenziell etwas anders gelagert.
Leider gibt es auch Mischformen, sprich: beide Enzyme sind nicht/zu wenig/nicht voll funktionsfähig vorhanden.
Den Satz finde ich deshalb irreführend „es besteht entweder ein Mangel an DAO oder die DAO ist zwar vorhanden, aber durch z.B. Medikamente aber auch andere biogene Amine oder durch Alkohol inaktiviert.“ Man kann eben sehr wohl auch eine Histaminunverträglichkeit haben, obwohl der Körper genügend und auch funktionsfähiges DAO produziert.
Das Weingut Weiss in Gols hat sich auf dieses Thema spezialisiert und bringt den Histaminrestwert im Wein auf ein sehr niedriges Niveau. Mehr Info und alle Details zu finden auf http://www.weingut-weiss.at/histaminfreier-wein.html
Die histaminfreien Weine vom Weingut Weiss sind jetzt auch im Onlineshop biowein-erlesen in Deutschland verfügbar.
http://www.biowein-erlesen.de/shop/index.php/cat/c216_Weiss.html
Die Weine werde ich mir auch mal ansehen, Danke für die Info.
Viele Grüße
Christian Schröder