Welche Aussage kann das Terroir machen?
Terroir
Volker Schneider
Schneider-Oenologie Bingen/Deutschland
Der Begriff des Terroir ist seit Ende der 1990er Jahre zu einem meinungsprägenden Schlagwort in der Weinszene geworden. Dabei handelt es sich um einen Begriff aus der französischen Agrargeschichte, der eine Qualität und Originalität als das Ergebnis einer historisch gewachsenen Wechselwirkung zwischen natürlichen (Boden, Klima), biologischen (Rebsorten) und menschlichen (Weinausbau, Tradition, subjektive Qualitätsauffassung) Faktoren beschreibt. Das Konzept ist eindeutig multidisziplinär.
In der Weinerzeugung steht Terroir auch für Tradition, Authentizität und Echtheit. Nachdem dieser Begriff zunächst in Frankreich als Antwort auf die Globalisierung und Industrialisierung der Weinwirtschaft zu neuem Leben erweckt wurde, bemühen sich auch andere Weinbauländer, ihn auf eigene Verhältnisse zu übertragen. Deutschland mit seiner bekannten Neigung zur Anlehnung an französiche Referenzen, man denke nur nur französische Eiche, Rebsorten oder Vinifikationsverfahren, konnte dieser Entwicklung nicht widerstehen. Doch im Gegensatz zum ursprünglichen Inhalt des Begriffs mit seinen historischen, kulturellen und ethischen Bezügen reduziert sich das hierzulande etablierte Verständnis von Terroir im politischen Ergebnis auf Terrain, also auf die Lage und den Boden.
In dem Bestreben, das abgewirtschaftete und weitgehend unglaubwürdig gewordene System der Qualitätseinstufung über das Mostgewicht durch ein besseres zu ersetzen, entwickelten sich Tendenzen zu einer Definition der Qualität über die Herkunft. Der weit umfassendere Begriff von Terroir wird dabei als marketingpolitisches Instrument zu einem gewissen Grad mißbraucht. Zweifellos kennt die deutsche Weinbaugeschichte eine oft sträflich vernachlässigte Unterscheidung zwischen guten und schlechten Lagen, das Terroir im ursprünglichen Sinn ist ihr jedoch fremd. Eine Terroirbewegung kann somit nur als eine Rückbesinnung auf die Bedeutung der Lage verstanden werden.
Da es anerkannterweise gute und weniger gute Lagen gibt, stellt sich berechtigterweise die Frage, inwiefern allein der Standort eine Garantie auf Qualität gibt. Diese Auffassung hatte lange Zeit in Frankreich Gültigkeit und hat es auch teilweise heute noch, weil dort die sensorische Qualität aus einer Lage relativ wenig zwischen den Erzeugern und Jahrgängen schwankt. Die aktuelle Krise des französischen Weinmarktes zeigt jedoch, dass die Überbetonung von herkunftsgebundener Definition der Qualität allein nicht glücklich macht. Die nachwachsenden Konsumenten, insbesondere die kulturell und intellektuell aufgeschlossenen unter ihnen, haben sich dort dem elitären Verständnis von Wein und seiner Qualität weitgehend abgewandt mit Schwindel erregenden Absatzeinbrüchen als Folge. Etwas mehr Aufmerksamkeit gegenüber den französischen Realitäten würde die Diskussion um die Kopie importierter Qualitäts- und Marketingmodelle sicher versachlichen.
Noch mehr Ernüchterung stellt sich ein, wenn man das breite Spektrum von Qualitäten und Weintypen innerhalb einer Rebsorte aus einer als durchaus gut eingestuften Einzellage innerhalb Deutschlands beobachtet. Verschiedene Winzer, gute und schlechte und vor allem solche mit unterschiedlichen Qualitätsphilosophien haben daran Anteil. Der eine Winzer, der auch in schlechten Jahren noch akzeptable Qualitäten aus reifen Trauben erzielt. Sein Nachbar, der von der Zeit überrollt wurde und selbst in guten Jahren regelmäßg UTA produziert. Und der Dritte, der seinen Böckser, bereits dreimal von der Prüfstelle abgelehnt, mit dem verwegenen Hinweis auf das Terroir geschickt verkauft. Bei dem breiten Spektrum der in einer Lage erzeugten Weine ist es sicher nur eine Frage der Zeit, bis alle sensorischen Abartigkeiten als Terroir verbucht werden.
Allein die unterschiedliche fachliche Qualifikation der Erzeuger mag Typizität und Wertigkeit einer klassifizierten Lage leicht ad absurdum zu führen. Eine gute Lage ist eine notwendige, aber nicht ausreichende Bedingung für Qualität. Als alleiniges und unanfechtbares Kriterium muß sie genau so scheitern wie das Mostgewicht.
Der Einfachkeit halber könnte man idealisieren, dass alle an einer solchen Lage beteiligten Winzer eine vergleichbar hohe fachliche Qualifikation und sensorische Sensibilität aufweisen. Dies nimmt ihnen nicht das Recht, unterschiedliche Vorstellungen von Typizität innerhalb der gleichen Rebsorte kellertechnisch umzusetzen und zu vermarkten. Daraus können trockene Rieslinge entstehen, die sich mit 13,5 % Alkohol, wenig Kohlensäure und nach einem BSA dem globalen Typ des internationalen Weißweins annähern und mit diesem leicht austauschbar werden, aber auch solche, die mit eher traditioneller Säure und moderatem Alkoholgehalt den klassischen deutschen Riesling repräsentieren. Eine zum Terroir aufgewertete Lage kann nicht verhindern, dass ein Erzeuger seiner schöpferischen Freiheit den Spielraum läßt, durch banale Maßnahmen der Vinifikation wie Ganztraubenpressung und Maischestandzeit gänzlich unterschiedliche Weinstile aus dem gleichen Lesegut herzustellen. Oder über Hefe und Art der Gärführung Aromen zu erzeugen, welche die traubenbürtige und damit für das Terroir spezifische Primäraromatik völlig maskieren. Oder die Spannbreite der Geschmacksrichtung „trocken“ zu interpretieren als wirklich trocken ohne schmeckbare Restsüße oder „deutsch trocken“ mit deutlich wahrnehmbarer, eher halbtrockener Fructose-Süße. Ganz zu schweigen von den edelsüßen Weinen, die durch Botrytis geprägt sind.
Lagentypizität ist noch schwerer objektivierbar als Weinstil und Weinqualität. Eine objektive Qualitätsaussage läßt sich aus ihr nicht ableiten. In Deutschlands pluralistischer Winzerlandschaft muß ein Terroir als historisch und gesellschaftlich gewachsenes Phänomen somit eine Utopie bleiben.
Die önologische Spannweite mit der daraus resultierenden extremen sensorischen Diversifizierung auf engstem Raum existiert nicht in dieser Form im Mutterland des Terroirs. Dort kommt erleichternd hinzu, dass Rotweine als Referenz dominieren. Sie erlangen einen großen Teil ihrer Qualität durch eine mehrjährige Reifung, während der die Variablen der Vinifikation in den Hintergrund treten und schließlich die primäre Qualität des Leseguts, wie es durch die Lage mitgegeprägt wird, zur Grundlage der geschmeckten Qualität wird. Rotweine werden noch mehr im Weinberg gemacht als Weißweine. Letztere, meist jung vermarktet, sind durch die Hand des Erzeugers mit all seinen önologischen Optionen mindestens genau so geprägt wie durch die Herkunft. Unter Önologie sind dabei keineswegs die irrationalen bis brutalen Eingriffe in die natürliche Entwicklung des Weins zu verstehen, wie man sie noch aus dem Zeitalter der Techno-Euphorie in Erinnerung hat. Önologie wird auch praktiziert, wenn man nach dem Prinzip der Minimalbehandlung bewußt, gezielt und kontrolliert auf solche Eingriffe verzichtet.
Wenn bereits die fachliche Qualifikation des Erzeugers und das breite Spektrum önologischer Optionen die Aussagekraft des eingedeutschten Terroirs relativieren, steuert die jahrgangsbedingte Witterung ein Übriges und ganz Wesentliches dazu bei. Die kühl-humiden Anbaugebiete an der nördlichen Grenze des Weinbaus kennen klimatische Schwankungen in Form von guten und schlechten Jahren wie kein anderes Land, wobei die schlechten Jahrgänge kaum die guten Lagen aussparen. Die Beweisführung, dass gute Lagen in allen Jahren die erwartete Qualität hervorbringen, steht noch aus.
Dass in Zeiten des Klimawandels die Schere zwischen Oechslegraden und physiologischer Reife immer weiter auseinander klafft, steht außer Frage. Deshalb hat das Mostgewicht als alleiniger Indikator der Qualität seine Bedeutung längst eingebüßt. Weil dies zu zögerlich erkannt wurde, hat die auf ihm aufbauende Qualitätspyramide ihre Glaubwürdigkeit auf breiter Ebene verloren. Komplementäre Kriterien sensorischer und analytischer Art sind dringend erforderlich. Sie könnten das historische, aus der Reife abgeleitete Qualitätsverständnis weiter entwickeln und ihm zu neuer Legitimation verhelfen.
Das Mostgewicht garantiert die Qualität nicht mehr, aber vermag sie der bezeichnungsrechtliche Sonderstatus klassifizierter Terroirs unbedingt besser zu garantieren? Die rein politische Diskussion um neofeudale Qualitätsaristokratie versus egalitärem Demokratieverständnis beantwortet die Frage nicht. Die wissenschaftliche Önologie entzieht sich der Antwort, weil sie nicht mit mißbräuchlich überstrapazierten Begriffen aus dem Marketing operiert. Sie hält aber sehr wohl die Instrumente bereit, um den Einfluß der Lage auf den Wein besser zu beschreiben und die Lagentypizität durch önologische Verfahren stärker auszuarbeiten. Eine solche Önologie, die sich am Weinberg und dem Zustand der Trauben ausrichtet, kann keineswegs allein auf die Frage nach Spontan- oder Reingärung reduziert werden, obgleich die bestehende Terroirbewegung eine enge Verbindung zwischen Lage und der Spontangärung mit ihren höchst variablen Ergebnissen herstellt. Hier gibt es zweifellos starken Forschungsbedarf, weil besonders in Deutschland Weinbau und Önologie viel zu lange aneinander vorbei arbeiteten.