Vorsicht bei der Traubenausdünnung
Des Guten oft zu viel
Der Autor
Arno Becker
Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum (DLR) Rheinpfalz, Abteilung Weinbau und Oenologie, Neustadt a.d. Weinstr. (D)
Ertragsminderung ist ein wichtiger Baustein für die Erzeugung hochwertiger Weine. Vor dem Hintergrund wärmerer Sommer und früher Traubenreife jedoch gerät dabei speziell eine Methode in Kritik: die Ausdünnung ganzer Trauben. Arno Becker, DLR Rheinpfalz, berichtet über Bedenken bei der „Grünlese“.
Das Ziel einer Ertragsreduktion ist in vielen landwirtschaftlichen Kulturen ähnlich. Die Ertragsmenge wird während der Vegetation reduziert, um die Kraft der Pflanze gebündelt in die verbleibenden Früchte zu lenken. Dadurch, so der Plan, soll ein höheres Maß an wertgebenden Inhaltsstoffen entstehen, was der Qualität über Aromaintensität spürbar dienen soll. Solange sich keine weiteren Parameter zu Ungunsten der Qualität verschieben geht dieser Plan auch auf. Speziell die Handausdünnung jedoch zeigte dabei in den letzten Jahren Schwächen.
Definition Handausdünnung
Es handelt sich um das Abschneiden ganzer Trauben zum Zeitpunkt Weichwerden (Véraison) bzw. bei Rotweinsorten dem Färben der Beeren. Bisweilen werden hierbei alle Früchte bis auf eine Traube pro Trieb abgeschnitten. Manchmal wird so die unterste, manchmal auch die mittlere bzw. oberste Traube belassen. Eine andere mögliche Vorgehensweise zielt darauf ab speziell schlecht verfärbte, mechanisch beschädigte etc. Exemplare herauszuschneiden und hierbei möglichst eine definierte Zahl an Trauben pro Stock zu belassen.
Die Ertragsreduktion hierbei kann verhältnismäßig stark ausfallen. Prior (2005) stellte bei Ausdünnung auf eine Traube pro Trieb im Durchschnitt von drei Versuchsjahren eine Ertragsreduzierung von mehr als 50% fest – in diesem Fall die größte Ertragsminderung aller getesteten qualitätssteigernden Maßnahmen.
Der Kompensationseffekt
Einhergehend wirken in aller Regel so genannte Kompensationseffekte. Das bedeutet, dass nach dem Entfernen von potentiellem Ertrag (Grünlese) die verbleibenden Trauben oftmals gar zum Dickenwachstum angeregt werden, quasi als Versuch der Pflanze, den Verlust wieder auszugleichen. Vielerlei Messungen machen das deutlich (z.B. Götz und Becker 2010).
Besonders spürbar wird dieser Effekt, wenn man entgegen guter fachlicher Praxis bei normal entwickelten Anlagen zu früh ausgedünnt, beispielsweise zum Entwicklungsstadium Traubenschluss. Zu diesem Zeitpunkt, der zwischen Blüte und Véraison liegt, findet ein markantes Dickenwachstum der Beeren statt, das durch Ertrags- Wegnahme umso mehr angeregt wird. Mehrjährige Untersuchungen des DLR Rheinpfalz zeigen dies (Götz und Becker 2010).
Aber auch bei der zeitlich korrekten Platzierung der Ausdünnungsmethode sind derlei Effekte im Spiel die sich im Jahr der Ernte, vielleicht sogar im folgenden Jahr zeigen. Je mehr entfernt wird, umso größer ihr Ausmaß.
Botrytisbefall nach Entfernen ganzer Trauben
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Werden die Trauben durch die beschriebenen Kompensationseffekte in der Endreifephase schließlich immer kompakter, ist Fäulnis durch Abquetschen in einer Vielzahl der Fälle vorprogrammiert.
In den Versuchen von Prior (2005) zum Beispiel wird der stark erhöhte Botrytisbefall nach Handausdünnung auf eine Traube pro Trieb (um 26%) im Vergleich zu allen anderen qualitätssteigernden Maßnahmen hervorgehoben.
Auch Fader, Hill und Spies (2003) sowie Petgen und Götz (2005) beschreiben ähnliches.
Einfluss des Klimawandels
Trotz alledem war besonders in den 1990er Jahren die Handausdünnung auf der Basis des Qualitätsgedanken und dem Bestand an reich tragenden Klonen eine angesagte Maßnahme in einigen Betrieben. Doch eine wichtige Einflussgröße hat sich in vielen Jahren danach spürbar verändert: das Wetter. Es wurde immer „besser“. Der Reifegrad der Trauben profitierte, was von vielen Seiten immer wieder zum Ausdruck gebracht wird. Verbunden mit sicherlich vielen positiven Aspekten dieser Situation vermag diese jedoch auch eingreifende Veränderungen mit sich zu bringen:
- Durch besseres Blütewetter kann über weniger Verrieselung der Packungsgrad der Trauben zunehmen
- Eine wärmer als übliche Vegetationsperiode lässt die Reife der in Österreich angestammten Sorten früher beginnen
- Beginnt die Reife früh wird bereits Zucker in nennenswertem Maß in der Traube eingelagert, und das bei verhältnismäßig warmen Temperaturen
Verursacht eine Grüne Lese nun zusätzlich noch kompaktere Trauben und noch höhere Mostgewichte, kann das Botrytisrisiko stark ansteigen (siehe auch Abbildungen 1 und 2). Äußerungen in einer Winzerhomepage wie „Bei der Grünlese wird der natürliche Ertrag unserer Rebstöcke um bis zu 70% reduziert“ (Internet 2010) erscheinen in diesem Zusammenhang fragwürdig.
Effekte des Klimawandels fordern ein Umdenken bei der Ertragsreduzierung
Empfindliche Sorten
Die getroffenen Aussagen gelten dabei vorrangig für engbeerige Sorten, da hier die Gefahr des Abquetschens naturgemäß am größten ist. Großtraubige, lockerbeerige Exemplare, im Idealfall mit robuster Beerenschale, sind indes weniger gefährdet. Zur ersten Gruppe gehören allerdings vorrangig die in unseren Breiten heimischen Typen wie Grüner Veltliner, Riesling, weiße Burgundersorten, … . Zur anderen Gruppe die oft als „internationale Sorten“ bezeichneten (Cabernet Sauvignon, Chenin Blanc, Merlot …).
Gegenmaßnahmen: Alternativen zur Ausdünnung
Was nun tun? Um die Trauben möglichst lange gesund zu erhalten und dennoch die Aromaintensität zu steigern, schwenken Betriebsleiter auf Alternativen um. Eine davon ist, die Ausdünnung zeitlich näher an die Lese zu bringen.
Anstatt oder in Ergänzung hierzu gehen andere zu einer negativen Vorlese oder selektiven / mehrstufigen Ernte über. So gewonnene Trauben werden bei entsprechendem Reifegrad und eingehaltener Wartezeiten im Pflanzenschutz eventuell verarbeitet zu Federweisser, Literware, Verjus, Traubensaft, Verschnittwein etc.. Ebenso können (stärker) angefaulte Trauben kurz vor der Maschinenlese auf den Boden geschnitten werden.
Viele Versuche zielen überdies auf eine Reifeverzögerung ab, in dem z.B. vorläufig gar mehr Ertrag belassen wird bzw. Herlinge/Geiztrauben erst spät entfernet werden. Oft schon hat sich schließlich in der Praxis gezeigt, dass aus qualitativer Sicht eine lange Hängzeit am noch belaubten Stock Vorrang vor hohen Mostgewichten hat. Das scheint in besonderem Maße für den Riesling zu gelten.
Darüber hinaus steht mittlerweile eine Vielzahl weiterer ertragssenkender und zugleich botrytismindernder Maßnahmen zur Verfügung wie z.B.
Bioregulatoren, Entblätterung, Handabstreifung, Traubenhalbierung und Vollernterausdünnung.
Der Trend sollte demnach eher weg von rein ertragssenkenden Maßnahmen hin zu solchen gehen, die auch von botrytismindernden oder reifeverzögernden Effekten begleitet werden.
Für Betriebe, die Handausdünnung dennoch einsetzen wollen, empfiehlt es sich, eine frühe Teilentblätterung vorzuschalten, um dem Fäulnisdruck entgegenzuwirken.
Zusammenfassung
Eine Qualitätssteigerung durch die Grünlese ist mittlerweile mit Bedenken behaftet. Das gilt besonders vor dem Hintergrund einer frühen Traubenreife, wie sie sich besonders 2011 wieder andeutet. Das hierdurch beschleunigte Sich- Abquetschen der Trauben kann rasch zu erhöhter Fäulnis führen. Wenn überhaupt sollte daher das Abschneiden ganzer Früchte nur noch unter wettermäßig kühleren Bedingungen, bei geeigneten (lockerbeerigen) Sorten sowie in geringem Umfang erfolgen. Als Alternativen stehen den Betriebsleitern inzwischen viele ertragssenkende und zugleich botrytismindernde Maßnahmen zur Verfügung. Ihnen sollte im Qualitätsweinbau der Vorzug gegeben werden.